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Gibt man medizinische Begriffe, Krankheitsnamen oder Diagnosen in eine Suchmaschine, wie z.B. Google ein, kann man sich von der Vielzahl an Suchergebnissen faktisch erschlagen fühlen. Millionen über Millionen Informationen zu Diagnosen, Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten, Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten sowie den Behandlern selbst. Bedenkt man, dass jedes Jahr mehr als eine Million medizinischer Studien veröffentlicht und etliche Ergebnisse davon ins Netz gestellt werden, dies aber wiederum nur ein Bruchteil dessen ist, was man validierte, wissenschaftlich fundierte Information nennen darf, so kann man sich in etwa vorstellen, dass selbst der medizinisch „vorgebildete“ Bürger wie ich ab einem bestimmten Zeitpunkt auf Durchzug schaltet.
Ich beschäftige mich schon ziemlich lange mit den Themen Social Media, Healthcare, Patientenkommunikation und Informationsverbreitung im Internet. Es ist mein Job, zusammen mit Unternehmen, Strategien zu entwickeln, mit deren Hilfe unterschiedliche Zielgruppen via Internet erreicht werden und anschließend so zufriedenstellend wie möglich bedient , Marken positioniert werden und die Reputation bzw. der Trust damit erhöht wird. Ich bin faktisch im Internet zuhause.
Das Social Web
Einige Beziehungen spielen sich ausschließlich in sozialen Netzwerken ab. Das sehr schön und aber bitte immer mit Interpretationsspielraum. Beziehung ist immer relativ, aber ab und an fühle ich mich dem ein oder anderen Facebook-Freund näher, als manch einer Person, mit der ich im Offline-Leben zu tun habe. Einige Facebook-Freunde, Twitter-Follower oder XING-Kontakte haben den Sprung ins Offlineleben geschafft. Was ich als eine echte Bereicherung empfinde.
Leider hat man aber immer nur ein bestimmtes Zeitkontingent zur Verfügung. Und wie überall, wir können nicht alles und wir können nicht alles auf einmal – treffen.
Mir macht meine Arbeit immer sehr viel Spaß und Freude. Immer wieder bin ich fasziniert, was ich im Netz alles erfahren, wen ich kennenlernen und worauf ich gut und gerne verzichten kann.
Krebs. Und nun?
Auch zu gesundheitlichen Fragestellungen habe ich des öfteren und gerne recherchiert. Und plötzlich war alles anders. Auf einmal kennst Du den riesen Unterschied zwischen ich beschäftige mit beruflich mit Gesundheit und ich habe ein Problem mit meiner Gesundheit. Auf einmal weißt Du, wie es ist, wenn Dir der Boden unter den Füssen weggezogen wird und Du ins Bodenlose fällst. Auf einmal kennst Du das Gefühl, wenn Dir das Blut in den Adern gefriert. Auf einmal kennst Du all die bescheuerten Floskeln und merkst – ich bin jetzt auch einer von denen, denen das passiert, so richtig. Und Du kommst da nicht so einfach wieder raus. So naja, ne.
Plötzlich stand ich vor einem Berg an Informationen, den ich gar nicht einordnen konnte und ehrlich gesagt auch gar nicht wollte.
Zu groß war der Schock und die Angst, falsche oder enttäuschende Informationen zu finden, Informationen falsch zu beurteilen und darüber nachzudenken, was die Informationen nun genau für mich bedeuten könnten. Neugierig, wissendurstig ist wohl erstmal auf Eis gelegt. Denn das was ich lese, könnte Konsequenzen haben. Da könnte stehen, dass ich sterbe. Ich will aber noch nicht sterben.
Am liebsten hätte ich die Fenster aufgemacht und auf Durchzug geschaltet, einen Fön herausgeholt und die Informationen hinweggepustet. Einen Reset-Button gedrückt und alles nutzlose einfach gelöscht.
Der Wunsch: Am liebesten gar nicht darüber nachdenken und hoffen, dem Tod dem ich auf einmal gegenüber stand, der mir das Du angeboten hat, einfach nur von der Schippe zu springen. Ihm zu sagen: „Wissen Sie was? Sie haben sich in der Hausnummer geirrt. Und – ich glaube, ich möchte gar nicht per Du sein“ „Wie mein Vater immer so schön zu sagen pflegte: „Es sagt sich leichter Du Arschloch, als Sie Arschloch.“ Ihr könnt Euch nicht vorstellen, auf was für Ideen man auf einmal kommt. Ich habe dem Tod Sechs-Gänge-Menüs gekocht, dass er sich satt ist und dann einfach nur einschläft und ich währenddessen einfach abhaue. Das Problem war nur, der lies nicht locker und war immer präsent.
Das was einem die Eltern früher gesagt haben, wenn Du morgen früh auffwachst, dann ist alles wieder gut – wünschte ich mir von ganzem Herzen. Das konnte doch alles nur ein dummes Missverständnis sein. Proben vertauscht oder so.
Was einem in so einem Moment alles durch den Kopf geht, kann eigentlich niemand außer derjenige verstehen, der es selbst erlebt. Haben Sie schon einmal gesagt bekommen – Sie haben Krebs? Es tut mir leid, dass ich es Ihnen mitteilen muss, aber an der Diagnose gibt es nichts zu rütteln.
Wenn man das gesagt bekommt, hat man unterschiedliche Möglichkeiten. Die einen konsumieren auf einmal alles, was ihnen in die Hände fällt. Wollen alles ganz genau wissen. Andere möchten am liebsten gar nichts wissen, die Zeit bis zum nächsten Untersuchungstermin einfach so normal wie möglich weiter leben und sich überhaupt nicht damit auseinandersetzen, was bei den diversen Untersuchungen noch alles zum Vorschein kommt. Eine Diagnose recht schließlich.
Medizinische Informationssuche im Internet
Das zum Thema „medizinische Informationssuche im Internet“ ein enormer Aufklärungsbedarf besteht, versteht sich meiner Meinung nach von selbst. Würde ich hier die Frage „Habt Ihr/Sie schon einmal im Internet nach medizinsichen Informationen gesucht?“ stellen – so wird wahrscheinlich fast jeder mit „JA“ antworten. Besonders sensible Informationen zu Themen, die mit Schamgefühlen verbunden sind, Themen, die man im ersten Moment nicht einmal mit dem eigenen Partner oder dem Arzt besprechen möchte, werden im Internet gesucht. Das Problem ist aber, dass die Fragezeichen hinterher häufig übergroß sind, weil der Suchende die gefundenen Informationen nicht in den gewünschten Kontext setzen bzw. richtig beurteilen kann.
Um dem vorzubeugen, bieten immer mehr Krankenkassen, so z.B. die Techniker Krankenkasse, ihren Mitglieder kostenlose Aufklärung an und leiten sie in Kursen, gezielt und systematisch an, im Internet nach Informationen zu suchen. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen engagiert sich in diesem Feld.
So fand gestern in Köln eine Patienteninformationsveranstaltung statt. In Vorträgen und Workshops wurde vermittelt, wie man im Internet nach Informationen suchen kann, wie man welche Informationen wie beurteilen sollte und welche Kriterien es gibt, Websiten und die Qualität der medizinsichen Information einzuordnen. Ich fand die Veranstaltung sehr gelungen. Die Referenten/ Mitarbeiter wussten alle wovon sie gesprochen haben und beherrschen ihre Arbeit aus dem FF. Das müssen sie aber auch, wollen sie dem Anspruch, den das Institut an sich selbst stellt, gerecht werden.
Der Anspruch ist hoch. Unabhängig, evidenzbasierte und allgemeinverständlich sollen die angebotenen Informationen sein. Und dabei allen zur Verfügung stehen. Die Entscheidungsfindung im Verlauf einer Erkrankung soll so informiert wie möglich stattfinden. Das geschieht auf der eigenen Webpräsenz Gesundheitsinformation.de, die ich sehr gelungen finde. Die Themengebiete sind sauber aufgeschlüsselt und die Erkrankungen sehr umfassend dargestellt. Auch das Vorgehen, wie diese Informationen gewonnen werden, wird ausführlich beschrieben. Was mir persönlich aber zu ausführlich ist. Ich möchte nicht wissen, warum, weshalb und wie Studien durchgeführt werden, sondern dass sauber durchgeführt und bewertet worden sind und mir letztendlich die Informationen geben, die mir helfen, mit der Krankheit umzugehen und so schnell wie möglich gesund zu werden. Eine Art TÜV-Siegel finde ich in diesem Zusammenhang hilfreich und angebracht.
Der informierte Patient, der so viel Informationen wie möglich zur Verfügung gestellt bekommt und dann mit seinem Arzt in einen Prozess des shared desicion making geht – das gibt es noch nicht so lange. Bis vor einigen Jahren sah das Ganze nämlich ganz anders aus. Aber der Prozess der Transformation lässt auch das deutsche Gesundheitswesen und die Arzt-Patientenbeziehung nicht unverändert.
Das gängige Klischee ist bzw. war doch – man geht zum Arzt – erzählt seine Geschichte, erklärt ihm, wo es weh tut – wird untersucht und bekommt dann eine Diagnose und die entsprechende Behandlung präsentiert. Da man ja so schnell wie möglich wieder gesund werden möchte, schluckt man die verschriebenen Pillen.
Mit dem Internet und mit sozialen Netzwerken hat sich dies aber verändert. Mal davon abgesehen, dass es ja bereits elektronische Pillen gibt, sind wir temporär alle Bundestrainer, Bundeskanzler und Super-Docs. Wir kennen uns in der Behandlung von Diabetes aus, wissen was Betablocker sind und bekommen vermittelt, dass Ärzte auch nur mit Wasser kochen.
Hoffentlich können wir die Transformation zum Cyberchonder noch stoppen.
Ich möchte, dass mein Arzt seine Zeit damit verbringt, sich mit medizinischen Themen zu beschäftigen und nicht stundenlang mit Patienten beschäftigt ist, die ihn gefühlt in den Wahnsinn treiben und ihm die Diagnosen, Behandlungsmöglichkeiten und Medikamente ausgedruckt um die Ohren knallen. Aufgeklärte Patienten, die mit ihren Ärzten in die Diskussion um Behandlungsmöglichkeiten gehen, mögen die Zukunft sein – ich aber möchte mir außerdem noch eine Weile die Illusion erhalten, dass mein Arzt weiß, woran ich erkrankt bin und weiß, wie man die Erkrankung so schnell wie möglich in den Griff bekommt.
Tausende Ärzte sind Tag für Tag damit beschäftigt, ihre Patienten wieder auf den Boden zu holen und sich parallel durch einen ausgedruckten Diagnoseberg zu wühlen. Die Quellen sind z.T. so dubios und das vom Patienten angedachte Behandlungsschema lässt dem Mediziner die Haare zu Berge stehen. Gleichzeitig steigt aber auch der Stress-Pegel des Mediziners, da man nie weiß, ob ein Mysteryshopper unterwegs ist, dass der Patient heimlich aus dem Sprechzimmer twittert und direkt via Twitter eine Zweitmeinung einholt und man sich schon die halbe Nacht vor dem PC sitzen sieht, um sein eigenes Fachwissen aufzufrischen und die Diagnose von Dr. Google zu hinterfragt.
Entzauberung der Ärzte
Ein Dilemma – glauben Sie es mir. Ich kann sowohl die eine, wie auch die andere Seite verstehen. So, wie wir uns irgendwann von unseren Eltern, als die allwissenden Götter verabschieden, entweder, weil ihr Wissensstand aus diversen Gründen einfach nicht mehr unserem Leben entspricht oder wir uns andere Idole gesucht haben, Menschen, von denen wir lernen und die uns in unserer Weiterentwicklung fördern, so wird auch der Hausarzt irgendwann entzaubert.
Meiner übrigens nicht – der ist super! Allerdings muss ich auch gestehen, dass ich meine Informationssuche an dem Tag, als ich mit der Verdachtsdiagnose und der endgültigen Diagnose konfrontiert war, radikal eingeschränkt habe. Mir hat es geholfen. Mein Umfeld hat das selbstverständlich wieder wett gemacht, da auf einmal jeder Bestens informiert war. Aber auch da habe ich einen Schnitt gemacht.
Trusted Information
Ein Punkt war nämlich überhaupt nicht gegeben. Der Punkt, wie die gefundenen Informationen zu beurteilen sind. Woher stammen die Informationen? Wer hat sie veröffentlicht? Welches Ziel hat der Veröffentlicher der Informationen? Wie werden die Informationen präsentiert? Wie aktuell sind die Informationen? Um welche Krankheit handelt es sich noch einmal?
Und genau das wurde uns auf dem gestrigen Patienteninformationstag auch angeraten. All das zu hinterfragen. Alles was ich haben möchte, sind Trusted Information, die mir gleichzeitig so viel Hoffnung und Mut machen, die Zeit der Behandlung zu überstehen. Das war auch das Thema der letzten HCSMEU-Tagung, die letztes Jahr in Brighton stattgefunden hat. Wie sollen medizinsiche Informationen aufbereitet sein? Welchen Informationsgehalt vertragen Patienten? Wer ist wie gefordert, wenn es darum geht Informationen zu beurteilen und zur Verfügung zu stellen. Und ich bin jemand, den es nicht interessiert, wer an welcher Studie teilgenommen hat, was genau alles getestet wurde und wie lange.
Alles wichtige Dinge – mit absoluter Sicherheit – ich aber möchte nur die optimale Behandlung haben. Ich möchte hören, dass ich wieder gesund werde. Manch einer mag darüber lachen und mir auf Biegen und Brechen vor Augen führen wollen, dass es nicht so ist. Das es ein kindlicher Wunsch ist. Ich finde es aber unmenschlich, wenn meinem Wunsch nicht entsprochen wird und mir Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten um die Ohren geknallt werden. Ich weiß selbst, dass es Nebenwirkungen gibt, dass es immer eine bestimmte Wahrscheinlichkeit gibt, die durch das Raster durchfällt. Ich weiß selbst, dass ich zeitweise Stress gehabt habe, der vieleicht sogar diese Krankkheit, die so selten ist, dass nur 1 Person von 1.000.000 Personen sie bekommt, verursachen könnte. Aber schon allein diesen Gedanken verbiete ich mir. Da ich glaube, dass der menschliche Körper ein ungeheures Potential und starke Selbstheilungskräfte hat. Und Belehrungen ist das allerletzte was jemand braucht, wenn er dabei ist, sich nach vorn zu orientieren.
Aber gut, jeder hat seine eigene Bewältigungsstrategie. Mein Leben ging so normal wie möglich weiter. Ich kann jedem nur raten, der Krankheit nicht den Stellenwert einräumen und sich den ganzen Tag damit zu beschäftigen. Mir hat es geholfen, ganz normal weiterzuarbeiten. Mit Menschen zusammen zu sein und gar nicht erst in das Loch zu fallen, in das jeder fallen kann. Ich habe mich zeitweise wie ein traumatisiertes Kriegsopfer gefühlt. Mich aber damit zu beschäftigen, warum ich traumatisiert bin und was die Diagnose Krebs in mir auslöst, hätte mich in einen Strudel gerissen, aus dem ich definitiv nicht so einfach herausgekommen wäre. Es ist wie in einem Flugzeug, wenn die Stewardess vor dem Start erklärt, dass gesunde Erwachsenen doch bitte die Sauerstoffmaske zuerst sich selbst aufsetzen, bevor sie sich um kleine Kinder und ältere Menschen kümmern. Niemandem ist geholfen, wenn die Kinder Sauerstoff bekommen, aber keinen Erwachsenen haben, der Ihnen im Fall einer Bruchlandung aus dem Flugzeug hilft. Und so war es auch bei mir. Erst einmal zentrieren und die Kraft und Energie dazu nutzen, wieder gesund zu werden. Dann kann ich mich immer noch damit auseinander setzen, warum ich so geschockt war, als ich der Endlichkeit des menschlichen Seins ins Auge geblickt habe und hinter mir die Dinge gesehen habe, die ich noch gerne erleben möchte und vor mir ein riesengroßes schwarzes Loch.
In diesem Sinne, konsumieren Sie vorsichtig. Man weiß nie, welche Informationen sich im Kopf festsetzen und irgendwann unbewusst abgerufen werden.